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Kategorie: Persönlich Böse

Eine (etwas andere) Weihnachtsgeschichte


Es war der 22. Dezember. Humphrey, Versandwichtel Stufe eins, Kernbereich Europa, lehnte sich zufrieden zurück. Alles lief bestens. Dem 15%igen Anstieg der Weihnachtsgeschenke in diesem Jahr waren sie dank seines Optimierungsprogramms mit Leichtigkeit gewachsen.

Gut, seit Mitte November hatte der Weihnachtsmann schlechte Laune. Humphrey hatte ihn auf Diät gesetzt. Schon zweimal hatte es erhebliche Verspätungen bei den Geschenklieferungen gegeben, weil der Weihnachtsmann im Kamin stecken geblieben war. Diesmal nicht, dafür würde Humphrey sorgen.

Auch das Christkind war beleidigt. Humphrey hatte sein Kontingent an Glitzerstaub halbiert. Kostengründe.

Sein größter Coup aber war der Einsatz von E 1563. Einem Pulver, das Spielzeuge lebendig machte, so dass sie sich selbst verpacken konnten. Sehr effektiv und personalsparend.

Wie gesagt, alles lief bestens. Bis, ja bis der Aushilfswichtel Ferdinand, zerstreut wie er war, nicht E 1563 auf ein Einhorn sondern ein Einhorn in das E 1563 warf.

„Oh, also ich finde es wirklich toll hier. Alles so bunt. Aber bisschen hektisch ist es schon, nicht? Kann ich von den Keksen haben? Ja? Die sind aber nicht mit Butter, oder? Margarine ist viel gesünder!“, hörte Humphrey, als er die Versandabteilung betrat. Seit zwei Stunden nervte das Einhorn die Mitarbeiter.
„Noch keine Anzeichen, dass die Wirkung nachlässt?“, fragte Humphrey seinen besten Mann. Der schüttelte nur den Kopf und wandte sich seiner Arbeit zu.

Humphrey verdrehte die Augen. Die Tests zur Langzeitwirkung hatte er eingespart, nun blieb ihm nichts anderes übrig als abzuwarten.
„Komm mit“, sagte er zu dem Einhorn.
„Wohin denn? Weißt du, ich hab es mir hier gerade gemütlich gemacht und wenn jetzt nichts wirklich wichtiges vorliegt, dann würde ich …“
„KOMM JETZT MIT!“
„Ist ja gut. Meine Güte, man wird doch in Ruhe seinen Keks aufessen dürfen. Habt ihr Termindruck oder was?“
Humphrey brummte vor sich hin. Der Weihnachtsmann durfte auf gar keinen Fall etwas mitbekommen. Seit Humphrey ihm die Lebkuchen mit Kirschfüllung gestrichen hatte, wartete der nur darauf, ihn seines Amtes zu entheben.

„Hach, ist das schön hier“, plapperte das Einhorn neben ihm, „all die Bäumchen und die Kugeln und die Kerzen. Vielleicht ein bisschen überfrachtet, ich mag ja lieber klare Raumkonzepte. Du weißt schon. Linien und Leere.“
„Es ist Weihnachten“, sagte Humphrey, „das nennt sich Tradition.“
„Ach …“, begann das Einhorn, wurde aber vom Christkind unterbrochen.

Das kam gerade um die Ecke, Lockenwickler im Haar, und rief Humphrey zu, es brauche unbedingt mehr Glitzerstaub, ohne Glitzerstaub sei …
„Noch mehr Glitzer?“, fragte das Einhorn. „Na ich weiß nicht. In deinem Alter sollte man mit Make Up zurückhaltender sein.“
Das Christkind wechselte von engelsporzellanfarben auf dunkelrot. „Eines sag ich dir“, zischte es Humphrey zu, „das Vieh überbringe ich nicht!“

„Wie überbringen?“, fragte das Einhorn, unbeeindruckt von dem wütend davon rauschenden Christkind.
„Du bist ein Geschenk“, erklärte Humphrey, „ein Spielzeug für ein braves, kleines Mädchen.“
„Geschenk? Geschenk! Für ein Mädchen! Hör mal, wir Einhörner sind edle Wesen. Reittiere großer Männer! Alexander der Große hatte eines und Lanzelot auch. Das hat mit dem Horn seine Feinde aufgespießt.“
„Meine Güte, vielleicht hat das Mädchen ja einen kleinen Bruder, den du aufspießen kannst“, stöhnte Humphrey.

Am nächsten Morgen war das Einhorn noch immer quicklebendig und redete ununterbrochen.
„Weißt du eigentlich, was kleine Mädchen tun? Sie flechten Zöpfe in die Mähne und stecken rosa Spängchen rein. Oder ziehen dir Kleidchen an. Oder sabbern auf dich drauf, während sie schlafen. Das ist entwürdigend.“
„Du wirst verschenkt“, sagte Humphrey, „Basta.“
„Nein“, sagte das Einhorn. „Ich wende mich an die Gewerkschaft.“
„Die habe ich eingespart“, erklärte Humphrey und holte sich einen extra starken Kakao mit doppelt Marshmallow.

Ein Ersatzeinhorn zu fertigen war aufgrund seiner perfekten Kalkulation der Arbeitsmaterialien undenkbar. Es sei denn, sie hätten eines aus den Wollresten der Sockenabteilung gemacht. Aber dann hätte sich das Kind sicher beim Weihnachtsmann beschwert. Öko war nicht im Trend. Auf dem Wunschzettel hatte ganz klar „Rosa Einhorn mit funkelnder Mähne“ gestanden.

Blieben die Rentiere. Vielleicht würden die sich bereit erklären, die Nervensäge zu schmuggeln.

Aber sie hatten schon von dem Einhorn gehört und weigerten sich beharrlich. Vielleicht hätte Humphrey sie nicht zu dem Extra-Fitness-Programm zwingen sollen, das er entwickelt hatte, um die Schlittengeschwindigkeit um 7,35 % zu erhöhen.

Es blieb ihm nicht anders übrig. Er musste es selbst tun. Der Sandmann schuldete ihm noch einen Gefallen.

An Heiligabend setzte der Sandmann Humphrey und das Einhorn auf dem Dach des Hauses ab, in dem das kleine Mädchen wohnte.

„So“, sagte Humphrey, „ab durch den Kamin.“
„Nö“, sagte das Einhorn.
„Doch“, sagte Humphrey.
„Meinst du nicht, es könnte dem Mädchen auffallen, dass ich lebendig bin?“
Daran hatte Humphrey nicht gedacht. Er hatte im Stress vollkommen vergessen, dass Menschen äußert pingelig bei solchen Kleinigkeiten waren. Rosa Einhorn war eben nicht gleich rosa Einhorn.
„Mist“, sagte Humphrey.
„Aber hey, das ist doch toll. Ich könnte zu dir ziehen, weißt du, so als WG. Das wird bestimmt nett. Natürlich müssten wir dein Zimmer dann ein wenig umgestalten. Stilvoll, wenn du verstehst was ich …“
„Ich hab’s“, sagte Humphrey.

Zehn Minuten später warf der Wichtel, begleitet von dem zeternden Einhorn, die Scheibe eines Spielzeugladens ein. ‘Made in China’ stand auf dem Zettel mit den Waschhinweisen am Hinterteil des Plüschtiers, aber das war egal. Hauptsache Rosa und Funkeln.

Der erste Weihnachtsfeiertag begann friedlich. An das Geplapper des Einhorns hatte sich Humphrey inzwischen gewöhnt und irgendwann musste die Wirkung des E 1563 wieder nachlassen. Hoffte er.
Etwas mulmig wurde ihm allerdings, als das Christkind und der Weihnachtsmann breit grinsend auf ihn zu kamen und ihm eine Zeitung hinhielten.

Die Schlagzeile lautete:
Sehr kleiner Mann bricht am Heiligabend in Begleitung einer Ziege in ein Spielzeuggeschäft ein.

Humphrey wollte gerade zur einer Erklärung ansetzen, doch das Einhorn vermasselte wieder alles.
„Ziege?“, schrie es. „ZIEGE!“ Dann brach es zusammen.
„Lasst mich raten“, sagte Humphrey, „ihr versetzt mich in die Außenstelle. Kernbereich mythische Huftiere.“
Der Weihnachtsmann zog einen Lebkuchen mit doppelter Schokoladenglasur aus der Manteltasche und nickte.

Pailletten-Eier und Hilferufe

Manchmal ist mir langweilig. Dann lese ich in den Kommentaren von Twitter herum. Jenseits meiner blubberigen Wohlfühlbubble.

Tut. Das. Nicht.

Hass, Dummheit, krudes Denken. Es stapelt sich und man weiß hinterher, dass die Leute jederzeit wieder Hexen/Hexer verbrennen würden, wären sie noch in der Lage, einen gescheiten Scheiterhaufen zu errichten und Feuer zu machen.

Meist sind es aber die kleinen Merkwürdigkeiten, die mir am längsten nachhängen – nicht die „Tabubrüche“, die halt mehr oder weniger erfolgreich Aufmerksamkeit generieren.

So wurde mir (warum auch immer) ein Tweet in die TL gespült: Eine Frau berichtet über Trennung an den Feiertagen. Mann lässt sie mit zwei kleinen Kindern zurück – weil ein Neuanfang ihm der leichtere Weg scheint.

Trennung, gerade mit kleinen Kindern, ist halt ein Trigger, das kennt man (mindestens von den Freundinnen) – und überhaupt: Aua. Also schau ich rein und natürlich ist da viel Anteilnahme, seitenweise Berichte von der eigenen Trennung, Zuspruch und Mutmachen, aber es dauert auch keine drei Scrolls bis sich ein Mann findet.

Es dauert nie mehr als drei Scrolls, bis sich ein Mann findet, btw. Aber das ist wieder ein anderes Thema – es geht ja hier um Frauen.

Aber zuerst zum Mann. Der ist nicht einer von denen, die so was schreiben wie: „Haha, bist bestimmt fett geworden!“ oder „Warum twitterst du das? Kümmer dich lieber um deine Kinder!“ Die gibt es auch, die gibt es immer. (Und gar nicht mal selten sind es Frauen, die solches schreiben.) Unser Mann hier aber ist einer, der hat ein Anliegen. Soweit man das sagen kann, Himmel, es ist Twitter, natürlich kann man immer nur raten – jedenfalls postuliere ich einfach mal: er hat ein Anliegen.

Die wunderbaren Frauen überhören oft (absichtlich/unabsichtlich) die Hilferufe ihrer Männer. So eine Entscheidung kommt nicht plötzlich.

sinngemäßes Zitat

Ja, so habe ich auch gekuckt.

Okay, lassen wir mal außen vor, dass Leute aus zwei Zeilen Twitter ganze Lebensgeschichten herauslesen und Zeug erahnen, da kommt keine Hellseherin drauf, nicht mal eine gute. Das ist geschenkt, das ist halt Twitter.

Aber. Was mir hängen blieb, war die unerkannten „Hilferufe“ der Männer.

Das ist schon eine sehr eigene Formulierung.

Nun, Beziehungen sind nichts für Weichlinge. Eine Freundin sagt, sie seien wie Waschmaschinen. Man sollte sich alle zehn Jahre eine neue zulegen – auch wenn man denkt, die alte tue ja noch und sei völlig ausreichend, man ist doch immer glücklicher mit einer neuen.

Ähm, da ist was dran – aber gerade wenn man Kinder (und Haus und Auto und Rassekatze und Brimborium hat), dann geht es auch ein klitzekleinwenig um Verantwortung und nicht nur um die Suche nach dem Glück. Gut, das ist vielleicht jetzt etwas altmodisch von mir – jedoch … eine andere Freundin prägte die Weisheit: Ich habe drei Kinder mit dem Mann. Ja, ich frag mich wirklich oft warum. Aber wir sind hier nicht im Ashram bei der Selbstfindung. Hier geht es um Verpflichtungen, Pragmatismus und Ärmel hoch. Glück ist, was man draus macht.

Fassen wir zusammen: ich habe für jede Trennung Verständnis und für jedes Zusammenbleiben. Am Ende muss man das selber wissen und selber ausbaden. Das eine wie das andere.

Und klar ist auch, dass eine Beziehung nicht in dem Moment endet, in dem einer sagt: Es ist vorbei. Es ist immer ein Weg. Und wenn auf diesem Trennungsweg von ‚Hilferufen‘ die Rede ist, dann kenne ich das eher von Seiten der Frauen, die sich zwischen Care- und Lohnarbeit aufreiben.

Da kenne ich die Diskussion ziemlich gut und auch den Zusatz: Frauen würden ja nicht klar sagen, was sie wollen. Die müssten nur mal sagen, was der Mann machen soll usw. usf.

(Interessanterweise war das auch die Reaktion auf unseren Twitterer-Mann: Die Männer sollten halt reden, wenn sie was wollen.)

Nun, mal davon abgesehen, dass wenn einer was will und der andere macht das nicht, es zu 90% der Fälle daran liegt, dass der andere das nicht machen will – und nicht etwa, dass er nicht verstanden hat, was die Bitte war – bleibt die Frage: Rufen Männer um Hilfe?

Dürfen die das überhaupt? So als große, starke Kerle, die das Mammut jagen? Wäre das nicht schon mal ein Fortschritt, wenn ein Mann bei der Paarberatung sitzt und sagt: Ich habe die ganze Zeit versucht klar zu machen, dass ich mehr Unterstürzung brauche – aber die Vorstandssitzung war meiner Frau einfach wichtiger?

Mal im Ernst – ist das nur eine krude Formulierung, um dieses ‚die Frau hat sich nicht um den Mann gekümmert‘ oder ‚die Bedürfnisse des Mannes wurden nicht erfüllt‘ zu umgehen? Diesem Anspruch, dem die Erwartung zu Grunde liegt, dass wie gut oder schlecht eine Beziehung ist, von der Frau abhängt. Und zwar nur von ihr?

Oder geht es hier um ein ernstes Gefühl der Hilflosigkeit?

Sind Männer hilflos? Und erkennen die bösen Frauen das nicht?

Und warum erkennen sie es nicht – immerhin besagt ja das Gesetz, dass Frauen in ihrer genetisch bedingten Fürsorglichkeit so was wie einen Fledermausradar für Bedürfnisse haben.

Ach, es ist kompliziert.

Jedenfalls: Hilflosigkeit. Kenn ich. Ist wie atmen.

Ich fühle mich ungefähr 248mal am Tag komplett hilflos, weil ich dauernd Dinge entscheiden, durchsetzen, raten, erwägen muss. Ich habe mal geheult, weil das Kind ein Osterei mit Pailletten verziehren sollte (Kindergarten, fragt nicht) – und das Kind solche Sachen aber einfach nicht macht. Und jetzt war ich die einzige Mutter, die ohne ein Paillettenei dastand und ich einfach nicht wusste, ob das einer der Momente ist, wo man sich ‚halt mal durchsetzen muss‘ oder einer von denen ‚wo man das verdammte Ei selber bastelt, damit einem die Gesellschaft den Buckel runter‘ oder einer von denen, wo man sagt ‚mein Kind bastelt nicht, und? UND?!‘

Ich wusste es einfach nicht, ich wollte in diesem Augenblick nur ein Kind haben, ein einziges Mal ein ganz normales Kind das ganz normal Dinge bastelt, wie alle anderen auch, und stattdessen – jedenfalls war es sehr dramatisch und ist als der große Ostereierweinkrampf in die Familiengeschichte eingegangen.

Ich, in meiner Rolle als Frau & Mutter bin dauernd hilflos, überfordert und verzweifelt wegen ’nix‘. Und warum sollte das bei Männern nicht genauso sein? Nur weil sie ein Chromosomenpaar anders haben, kann ja nun nicht … aber vielleicht können sie das nicht so ausleben. Und müssen immer was wichtiges stattdessen erledigen und weg sein und überhaupt. Vielleicht ist die Abwesenheit des Mannes im Care-Arbeits-Betrieb ein Hilferuf.

Und die böse Frau in mir hört das einfach nicht?

Also, nur für den Fall, dass jemand das Bedürfnis nach Überforderung verspürt: Ich hab noch von den Eiern. Und den Pailletten. Und ich leih auch gern das Kind aus, kein Ding.

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