Gedanken, Ideen, Fallgeschichten, Fakten, Kolumnen & Geschichten, lose Fäden und Hanebüchenes

Autor: debruma Seite 1 von 2

Eine (etwas andere) Weihnachtsgeschichte


Es war der 22. Dezember. Humphrey, Versandwichtel Stufe eins, Kernbereich Europa, lehnte sich zufrieden zurück. Alles lief bestens. Dem 15%igen Anstieg der Weihnachtsgeschenke in diesem Jahr waren sie dank seines Optimierungsprogramms mit Leichtigkeit gewachsen.

Gut, seit Mitte November hatte der Weihnachtsmann schlechte Laune. Humphrey hatte ihn auf Diät gesetzt. Schon zweimal hatte es erhebliche Verspätungen bei den Geschenklieferungen gegeben, weil der Weihnachtsmann im Kamin stecken geblieben war. Diesmal nicht, dafür würde Humphrey sorgen.

Auch das Christkind war beleidigt. Humphrey hatte sein Kontingent an Glitzerstaub halbiert. Kostengründe.

Sein größter Coup aber war der Einsatz von E 1563. Einem Pulver, das Spielzeuge lebendig machte, so dass sie sich selbst verpacken konnten. Sehr effektiv und personalsparend.

Wie gesagt, alles lief bestens. Bis, ja bis der Aushilfswichtel Ferdinand, zerstreut wie er war, nicht E 1563 auf ein Einhorn sondern ein Einhorn in das E 1563 warf.

„Oh, also ich finde es wirklich toll hier. Alles so bunt. Aber bisschen hektisch ist es schon, nicht? Kann ich von den Keksen haben? Ja? Die sind aber nicht mit Butter, oder? Margarine ist viel gesünder!“, hörte Humphrey, als er die Versandabteilung betrat. Seit zwei Stunden nervte das Einhorn die Mitarbeiter.
„Noch keine Anzeichen, dass die Wirkung nachlässt?“, fragte Humphrey seinen besten Mann. Der schüttelte nur den Kopf und wandte sich seiner Arbeit zu.

Humphrey verdrehte die Augen. Die Tests zur Langzeitwirkung hatte er eingespart, nun blieb ihm nichts anderes übrig als abzuwarten.
„Komm mit“, sagte er zu dem Einhorn.
„Wohin denn? Weißt du, ich hab es mir hier gerade gemütlich gemacht und wenn jetzt nichts wirklich wichtiges vorliegt, dann würde ich …“
„KOMM JETZT MIT!“
„Ist ja gut. Meine Güte, man wird doch in Ruhe seinen Keks aufessen dürfen. Habt ihr Termindruck oder was?“
Humphrey brummte vor sich hin. Der Weihnachtsmann durfte auf gar keinen Fall etwas mitbekommen. Seit Humphrey ihm die Lebkuchen mit Kirschfüllung gestrichen hatte, wartete der nur darauf, ihn seines Amtes zu entheben.

„Hach, ist das schön hier“, plapperte das Einhorn neben ihm, „all die Bäumchen und die Kugeln und die Kerzen. Vielleicht ein bisschen überfrachtet, ich mag ja lieber klare Raumkonzepte. Du weißt schon. Linien und Leere.“
„Es ist Weihnachten“, sagte Humphrey, „das nennt sich Tradition.“
„Ach …“, begann das Einhorn, wurde aber vom Christkind unterbrochen.

Das kam gerade um die Ecke, Lockenwickler im Haar, und rief Humphrey zu, es brauche unbedingt mehr Glitzerstaub, ohne Glitzerstaub sei …
„Noch mehr Glitzer?“, fragte das Einhorn. „Na ich weiß nicht. In deinem Alter sollte man mit Make Up zurückhaltender sein.“
Das Christkind wechselte von engelsporzellanfarben auf dunkelrot. „Eines sag ich dir“, zischte es Humphrey zu, „das Vieh überbringe ich nicht!“

„Wie überbringen?“, fragte das Einhorn, unbeeindruckt von dem wütend davon rauschenden Christkind.
„Du bist ein Geschenk“, erklärte Humphrey, „ein Spielzeug für ein braves, kleines Mädchen.“
„Geschenk? Geschenk! Für ein Mädchen! Hör mal, wir Einhörner sind edle Wesen. Reittiere großer Männer! Alexander der Große hatte eines und Lanzelot auch. Das hat mit dem Horn seine Feinde aufgespießt.“
„Meine Güte, vielleicht hat das Mädchen ja einen kleinen Bruder, den du aufspießen kannst“, stöhnte Humphrey.

Am nächsten Morgen war das Einhorn noch immer quicklebendig und redete ununterbrochen.
„Weißt du eigentlich, was kleine Mädchen tun? Sie flechten Zöpfe in die Mähne und stecken rosa Spängchen rein. Oder ziehen dir Kleidchen an. Oder sabbern auf dich drauf, während sie schlafen. Das ist entwürdigend.“
„Du wirst verschenkt“, sagte Humphrey, „Basta.“
„Nein“, sagte das Einhorn. „Ich wende mich an die Gewerkschaft.“
„Die habe ich eingespart“, erklärte Humphrey und holte sich einen extra starken Kakao mit doppelt Marshmallow.

Ein Ersatzeinhorn zu fertigen war aufgrund seiner perfekten Kalkulation der Arbeitsmaterialien undenkbar. Es sei denn, sie hätten eines aus den Wollresten der Sockenabteilung gemacht. Aber dann hätte sich das Kind sicher beim Weihnachtsmann beschwert. Öko war nicht im Trend. Auf dem Wunschzettel hatte ganz klar „Rosa Einhorn mit funkelnder Mähne“ gestanden.

Blieben die Rentiere. Vielleicht würden die sich bereit erklären, die Nervensäge zu schmuggeln.

Aber sie hatten schon von dem Einhorn gehört und weigerten sich beharrlich. Vielleicht hätte Humphrey sie nicht zu dem Extra-Fitness-Programm zwingen sollen, das er entwickelt hatte, um die Schlittengeschwindigkeit um 7,35 % zu erhöhen.

Es blieb ihm nicht anders übrig. Er musste es selbst tun. Der Sandmann schuldete ihm noch einen Gefallen.

An Heiligabend setzte der Sandmann Humphrey und das Einhorn auf dem Dach des Hauses ab, in dem das kleine Mädchen wohnte.

„So“, sagte Humphrey, „ab durch den Kamin.“
„Nö“, sagte das Einhorn.
„Doch“, sagte Humphrey.
„Meinst du nicht, es könnte dem Mädchen auffallen, dass ich lebendig bin?“
Daran hatte Humphrey nicht gedacht. Er hatte im Stress vollkommen vergessen, dass Menschen äußert pingelig bei solchen Kleinigkeiten waren. Rosa Einhorn war eben nicht gleich rosa Einhorn.
„Mist“, sagte Humphrey.
„Aber hey, das ist doch toll. Ich könnte zu dir ziehen, weißt du, so als WG. Das wird bestimmt nett. Natürlich müssten wir dein Zimmer dann ein wenig umgestalten. Stilvoll, wenn du verstehst was ich …“
„Ich hab’s“, sagte Humphrey.

Zehn Minuten später warf der Wichtel, begleitet von dem zeternden Einhorn, die Scheibe eines Spielzeugladens ein. ‘Made in China’ stand auf dem Zettel mit den Waschhinweisen am Hinterteil des Plüschtiers, aber das war egal. Hauptsache Rosa und Funkeln.

Der erste Weihnachtsfeiertag begann friedlich. An das Geplapper des Einhorns hatte sich Humphrey inzwischen gewöhnt und irgendwann musste die Wirkung des E 1563 wieder nachlassen. Hoffte er.
Etwas mulmig wurde ihm allerdings, als das Christkind und der Weihnachtsmann breit grinsend auf ihn zu kamen und ihm eine Zeitung hinhielten.

Die Schlagzeile lautete:
Sehr kleiner Mann bricht am Heiligabend in Begleitung einer Ziege in ein Spielzeuggeschäft ein.

Humphrey wollte gerade zur einer Erklärung ansetzen, doch das Einhorn vermasselte wieder alles.
„Ziege?“, schrie es. „ZIEGE!“ Dann brach es zusammen.
„Lasst mich raten“, sagte Humphrey, „ihr versetzt mich in die Außenstelle. Kernbereich mythische Huftiere.“
Der Weihnachtsmann zog einen Lebkuchen mit doppelter Schokoladenglasur aus der Manteltasche und nickte.

Pailletten-Eier und Hilferufe

Manchmal ist mir langweilig. Dann lese ich in den Kommentaren von Twitter herum. Jenseits meiner blubberigen Wohlfühlbubble.

Tut. Das. Nicht.

Hass, Dummheit, krudes Denken. Es stapelt sich und man weiß hinterher, dass die Leute jederzeit wieder Hexen/Hexer verbrennen würden, wären sie noch in der Lage, einen gescheiten Scheiterhaufen zu errichten und Feuer zu machen.

Meist sind es aber die kleinen Merkwürdigkeiten, die mir am längsten nachhängen – nicht die „Tabubrüche“, die halt mehr oder weniger erfolgreich Aufmerksamkeit generieren.

So wurde mir (warum auch immer) ein Tweet in die TL gespült: Eine Frau berichtet über Trennung an den Feiertagen. Mann lässt sie mit zwei kleinen Kindern zurück – weil ein Neuanfang ihm der leichtere Weg scheint.

Trennung, gerade mit kleinen Kindern, ist halt ein Trigger, das kennt man (mindestens von den Freundinnen) – und überhaupt: Aua. Also schau ich rein und natürlich ist da viel Anteilnahme, seitenweise Berichte von der eigenen Trennung, Zuspruch und Mutmachen, aber es dauert auch keine drei Scrolls bis sich ein Mann findet.

Es dauert nie mehr als drei Scrolls, bis sich ein Mann findet, btw. Aber das ist wieder ein anderes Thema – es geht ja hier um Frauen.

Aber zuerst zum Mann. Der ist nicht einer von denen, die so was schreiben wie: „Haha, bist bestimmt fett geworden!“ oder „Warum twitterst du das? Kümmer dich lieber um deine Kinder!“ Die gibt es auch, die gibt es immer. (Und gar nicht mal selten sind es Frauen, die solches schreiben.) Unser Mann hier aber ist einer, der hat ein Anliegen. Soweit man das sagen kann, Himmel, es ist Twitter, natürlich kann man immer nur raten – jedenfalls postuliere ich einfach mal: er hat ein Anliegen.

Die wunderbaren Frauen überhören oft (absichtlich/unabsichtlich) die Hilferufe ihrer Männer. So eine Entscheidung kommt nicht plötzlich.

sinngemäßes Zitat

Ja, so habe ich auch gekuckt.

Okay, lassen wir mal außen vor, dass Leute aus zwei Zeilen Twitter ganze Lebensgeschichten herauslesen und Zeug erahnen, da kommt keine Hellseherin drauf, nicht mal eine gute. Das ist geschenkt, das ist halt Twitter.

Aber. Was mir hängen blieb, war die unerkannten „Hilferufe“ der Männer.

Das ist schon eine sehr eigene Formulierung.

Nun, Beziehungen sind nichts für Weichlinge. Eine Freundin sagt, sie seien wie Waschmaschinen. Man sollte sich alle zehn Jahre eine neue zulegen – auch wenn man denkt, die alte tue ja noch und sei völlig ausreichend, man ist doch immer glücklicher mit einer neuen.

Ähm, da ist was dran – aber gerade wenn man Kinder (und Haus und Auto und Rassekatze und Brimborium hat), dann geht es auch ein klitzekleinwenig um Verantwortung und nicht nur um die Suche nach dem Glück. Gut, das ist vielleicht jetzt etwas altmodisch von mir – jedoch … eine andere Freundin prägte die Weisheit: Ich habe drei Kinder mit dem Mann. Ja, ich frag mich wirklich oft warum. Aber wir sind hier nicht im Ashram bei der Selbstfindung. Hier geht es um Verpflichtungen, Pragmatismus und Ärmel hoch. Glück ist, was man draus macht.

Fassen wir zusammen: ich habe für jede Trennung Verständnis und für jedes Zusammenbleiben. Am Ende muss man das selber wissen und selber ausbaden. Das eine wie das andere.

Und klar ist auch, dass eine Beziehung nicht in dem Moment endet, in dem einer sagt: Es ist vorbei. Es ist immer ein Weg. Und wenn auf diesem Trennungsweg von ‚Hilferufen‘ die Rede ist, dann kenne ich das eher von Seiten der Frauen, die sich zwischen Care- und Lohnarbeit aufreiben.

Da kenne ich die Diskussion ziemlich gut und auch den Zusatz: Frauen würden ja nicht klar sagen, was sie wollen. Die müssten nur mal sagen, was der Mann machen soll usw. usf.

(Interessanterweise war das auch die Reaktion auf unseren Twitterer-Mann: Die Männer sollten halt reden, wenn sie was wollen.)

Nun, mal davon abgesehen, dass wenn einer was will und der andere macht das nicht, es zu 90% der Fälle daran liegt, dass der andere das nicht machen will – und nicht etwa, dass er nicht verstanden hat, was die Bitte war – bleibt die Frage: Rufen Männer um Hilfe?

Dürfen die das überhaupt? So als große, starke Kerle, die das Mammut jagen? Wäre das nicht schon mal ein Fortschritt, wenn ein Mann bei der Paarberatung sitzt und sagt: Ich habe die ganze Zeit versucht klar zu machen, dass ich mehr Unterstürzung brauche – aber die Vorstandssitzung war meiner Frau einfach wichtiger?

Mal im Ernst – ist das nur eine krude Formulierung, um dieses ‚die Frau hat sich nicht um den Mann gekümmert‘ oder ‚die Bedürfnisse des Mannes wurden nicht erfüllt‘ zu umgehen? Diesem Anspruch, dem die Erwartung zu Grunde liegt, dass wie gut oder schlecht eine Beziehung ist, von der Frau abhängt. Und zwar nur von ihr?

Oder geht es hier um ein ernstes Gefühl der Hilflosigkeit?

Sind Männer hilflos? Und erkennen die bösen Frauen das nicht?

Und warum erkennen sie es nicht – immerhin besagt ja das Gesetz, dass Frauen in ihrer genetisch bedingten Fürsorglichkeit so was wie einen Fledermausradar für Bedürfnisse haben.

Ach, es ist kompliziert.

Jedenfalls: Hilflosigkeit. Kenn ich. Ist wie atmen.

Ich fühle mich ungefähr 248mal am Tag komplett hilflos, weil ich dauernd Dinge entscheiden, durchsetzen, raten, erwägen muss. Ich habe mal geheult, weil das Kind ein Osterei mit Pailletten verziehren sollte (Kindergarten, fragt nicht) – und das Kind solche Sachen aber einfach nicht macht. Und jetzt war ich die einzige Mutter, die ohne ein Paillettenei dastand und ich einfach nicht wusste, ob das einer der Momente ist, wo man sich ‚halt mal durchsetzen muss‘ oder einer von denen ‚wo man das verdammte Ei selber bastelt, damit einem die Gesellschaft den Buckel runter‘ oder einer von denen, wo man sagt ‚mein Kind bastelt nicht, und? UND?!‘

Ich wusste es einfach nicht, ich wollte in diesem Augenblick nur ein Kind haben, ein einziges Mal ein ganz normales Kind das ganz normal Dinge bastelt, wie alle anderen auch, und stattdessen – jedenfalls war es sehr dramatisch und ist als der große Ostereierweinkrampf in die Familiengeschichte eingegangen.

Ich, in meiner Rolle als Frau & Mutter bin dauernd hilflos, überfordert und verzweifelt wegen ’nix‘. Und warum sollte das bei Männern nicht genauso sein? Nur weil sie ein Chromosomenpaar anders haben, kann ja nun nicht … aber vielleicht können sie das nicht so ausleben. Und müssen immer was wichtiges stattdessen erledigen und weg sein und überhaupt. Vielleicht ist die Abwesenheit des Mannes im Care-Arbeits-Betrieb ein Hilferuf.

Und die böse Frau in mir hört das einfach nicht?

Also, nur für den Fall, dass jemand das Bedürfnis nach Überforderung verspürt: Ich hab noch von den Eiern. Und den Pailletten. Und ich leih auch gern das Kind aus, kein Ding.

Von haarlosen Männern …

Heute morgen über Hans Sachs gestolpert – dem Meistersinger von Nürnberg, dem Spruchdichter aus dem 16. Jh.

Genauer bin ich über seinen Schwank 58 „Woher die Männer mit den Glatzen ihren Ursprung haben“ gestolpert und die Antwort lautet wie? Richtig: Von den bösen Frauen.

Von wem auch sonst?

Nachlesen kann man dahier: *Klickst du*

Nacherzählt ist es aber recht fix:

Ein Witwer, 50, volles Haar, grau-schwarz-meliert nimmt sich zwei Frauen gleichzeitig zum Eheweib (brillante Idee, btw.) – die eine alt und reich, die andere jung, schön und arm. Und die beiden zänken sich natürlich und buhlen um seine Gunst usw. Die Alte hat halt Geld und ihn damit am Wickel, die Junge hat Jugend, Aussehen und stellt ihm ohne zu meckern die Pantoffeln hin. Da hat er freilich die Junge lieber – worauf die Alte ihm beginnt die schwarzen Haare auszureißen, damit er genauso alt und schlupfig ausschaut wie sie.

Die Junge lässt derweil im Haushalt nach, verliert an Gunst, darf nicht mehr so viel bei Wish bestellen und: bekommt das irgendwann mit, wie die Alte Haare rupft. Denkt sich: das kann ich auch. Sie nimmt aber die grauen und irgendwann ist der gute Mann kahl und muss ne Strickmütze tragen.

Und damit auch jeder die Moral von der Geschicht versteht, wird das am Schluss nochmal erläutert:

Nimmt er ’ne Alte, will allein
Sie in dem Hause Meister sein
Und halten Haus, wie’s ihr behagt.
Gar keinen Scherz sie mit ihm macht,
Seltsam mit Worten und Gedanken
Ist sie und thut sie’s mit ihm zanken,
Womit sie ihm ausrupfen thut
All seine Freud‘, Ruh‘, frohen Muth.

Jedoch nimmt er ein junges Weib,
So peinigt sie auch seinen Leib,
Er muß sie kleiden, zieren und schmücken,
Zur Hochfahrt helfen in allen Stücken;
Sie macht sich nicht das Mind’ste draus,
Zu leeren ihm den Beutel aus.
So rupft man ihn, wie er’s auch halte,

Er nehm‘ ’ne Junge oder Alte.

Hans Sachs, Schwank 58

Wir fassen also zusammen: Frauen. Alle böse außer Mutti.

Jetzt, klar, kann man sagen: Haja, 16. Jh. Rollenverteilung. Außerdem ein Schwank, Schwänke sind immer derbe und immer Reduktion und außerdem ist das Humor.

Aber spannend (und seltsam vertraut) befinde ich die völlige Nichtexistenz von Beziehungsverantwortung beim Mann. Der hat die Frau ja immerhin geheiratet – was soll er denn noch tun? Er ist da und allein daraus, dass er da ist, entspringt sein Anspruch auf Freud‘, Ruh und frohen Muth. Warmes Mittagessen und Sparsamkeit oben drauf. Die Frau ist es, die Beziehung macht – im Guten wie im Schlechten. Der Mann ist dem Geschehen hilflos ausgeliefert und lässt halt u.U. sei letztes Haar.

Das einzige Mittel sich der Frauenplage zu entziehen, ist, keine Frau zu haben. Also, um die erste kommt man wohl nicht rum, aber wenn man einmal eine Ehe geschafft hat, dann bloß keine neue.

Irgendwie kommt mir das wirklich bekannt vor – also, nicht das mit der Glatze, aber diese Nicht-Beziehungsverantwortung. Muss da seltsamerweise an eine sehr wunderbare Freundin denken, die vier Kinder hat (damals alle noch klein, inzwischen baumhohe, tolle, fast erwachsene Menschen) – und eines Tages gefragt wurde, ob sie sich vorstellen könnte, sich in einen anderen Mann als den ihren zu verlieben. Und die dann ziemlich klar mit „Ne, keinesfalls. Niemals. Nö.“ reagierte.

„Awwww – liebst du deinen Mann so sehr?“

„Was? Nein, also auch – aber ganz ehrlich: nach vier Kindern weißt du eines: die nächste Beziehung führst du mit einer Frau. Libido hin oder her.“

Und alle, wirklich alle anwesenden Frauen (und das waren einige) nickten verständnisvoll.

Daniela Krien „Der Brand“

Kann man ein Buch mögen, sehr gern gelesen haben – wenn man die Hauptfigur nicht ausstehen kann?

Ja, geht, wenn es Krien ist.

Ich mag den Sound, das Klare der Prosa, die kühlen Sätze, das Kurze, das Tempo. Kriens Erzählton ist (wieder) ganz meins. Und ich mag: die Konzentration auf das ‚kleine Leben‘. Alltägliche Menschen, alltägliche Probleme – keine großen Schlachten werden geschlagen, es dreht sich um den Mikrokosmos Familie, Beziehung, Liebe, Arbeit, Alltag im Hier und Jetzt.

Das wird Krien oft vorgehalten, diese kleinen Themen – aber ich bin da ganz Kabbala: Das Große ist im Kleinen und das Kleine ist im Großen.

Also, ein tolles Buch. Fertig. Kurzrezension Ende.

Naaa, nee, ne. Denn, wie gesagt, ich kann die Hauptfigur nicht ausstehen. (Und ihren Mann genauso wenig). Dieses Pärchen um die Fünzig – Bildungsbürgertum, er Prof., sie Thera. Dazu zwei gesunde, erwachsene Kinder. Urlaubsfindungsprobleme und Beziehungsprobleme und Lebensende-nähert-sich-Probleme und: kein Bock mehr.

Das wäre der Titel überhaupt: Kein Bock mehr.

Also, der Peter auf die Rahel. Denn er schläft nicht mehr mit ihr, mit dieser schönen Frau, die sich so sehr danach sehnt, begehrt zu werden.

Aber das war es noch nicht, man hat nämlich: Keinen Bock mehr auf das Aushandeln, Austarieren von Beziehungen – auf Widerspruch, Kritik oder stetiges Neu-Kennen-Lernen. Keinen Bock mehr auf den Job – er ist gekränkt, weil seine Lehrmethoden von den neuen Studenten nicht geschätzt werden, ihr gehen die Patienten auf die Nerven. Man hat auch keinen Bock auf die Enkel und schon gar nicht auf neue Erziehungsmaßstäbe, wo dann u.U. unterm Tisch gegessen wird.

Keinen Bock auf die Fragen, die die Kinder aufwerfen – die Tochter ganz direkt, indem sie die Klappe aufreißt und ihre Ehe sehenden Auges an die Wand fährt. Der Bub, indem er zu Armee geht.

Zur Armee. Ausgerechnet. Man nimmt es bisschen mit ‚Er liebt halt Sport und Adrenalin, kann sich da ausleben‘, doch dann kommt er damit, dass er die Freiheit verteidigen will. Dass er es ernst meint: Soldat sein. Und auch da hat man keinen Bock auf Diskussion, ist so ein schöner Sommerabend, man sieht sich nicht oft …

Gleich zu Beginn findet Rahel Tabak, dreht sich eine Zigarette und kommt stetig nicht dazu, sie zu rauchen. Weil immer was ist und immer wer was will und immer … ich gebe offen zu, dass ich im letzten Drittel das Buch angeschrien habe: „Du bist fünzig, Mädel. Wenn du eine rauchen willst, dann rauch eine. Verdammte Axt.“

Sie raucht sie noch, aber das hätte sie sich schenken können. Keinen Bock auf Schmutz in der Wohnung, auf jede Art der Veränderung, keinen Bock auf Nachrichten (Klimawandel, ganz schlimm, ganz schlimm, gleich mal Radio ausmachen) – keinen Bock auf Menschen, die anders denken, leben, handeln, keinen Bock auf Streiten und schon gar keinen Bock auf die Pandemie. ‚Man kann ja nicht in Furcht leben‘. Bloß weil da ein Virus rumseucht, kann man jetzt nicht irgendwas ändern, wo kommen wir denn da hin? Der drohenden Unbill des Alters und dem potentiellen Verlust von Körperfunktionen wird mit einer Patientenverfügung begegnet – alles abschalten, fertig.

Die Erwartung aneinander ist, dass der andere ein stetig verfügbares Lager ist, auf das man sich, wann immer man es braucht, sanft betten kann – und bitte, also wirklich, bitte keine Erbsen unterm Laken aus ägyptischer Baumwolle. Da hat man – richtig – keinen Bock mehr drauf. Und genauso geht man miteinander um, ein einziger Eiertanz um jedes echte Gefühl. Harmonisch wird gekocht und geschwommen und irgendwann auch wieder geliebt.

Kein Einlassen aufeinander, nirgends. Peter, der seine Zuneigung zu den Tieren entdeckt (oder ist es Rahel, die hier entdeckt, dass ihr Peter Tiere mag?) und damit allein bleibt. Rahel nimmt es wahr und das war es. Nicht ein einziges Mal wird die Katze gestreichelt oder das Pferd getätschelt. Und selbst der flugbehinderte Storch (Ein Storch! – würde ausrasten, aber naja) ist für Rahel nur Szenenhintergrund für ihren Peter, der ja doch noch ganz fesch ist, für sein Alter.

Kein Bock auf Trennung – aber nicht etwa, weil man noch ein Interesse am ‚Wir‘ hätte – sondern weil so eine Trennung ja auch nur Mühe macht. Trennungsarbeit ist Beziehungsarbeit und dann muss man noch die Möbel umstellen, ach, kein Bock.

Peter schlägt Rahel vor, sie könne sich ja einen Mann dazu nehmen, das sei in Ordnung für ihn. Jetzt. Rahel lehnt ab, aber sanft, ganz sanft. Ohne ihn zu verletzen, ohne Diskussion, ohne irgendwas auf den Tisch zu bringen – und das ist eine der unzähligen Szenen, in denen man sich wünscht, Rahel würde ganz entspannt nach dem Kissen greifen und ihre yogagestählten Körperkräfte nutzen, um den Alten einfach zu ersticken.

Als Rahel endlich, ENDLICH der Faden reißt und sie ihre ganze Wut auskotzt – zack, gleich darauf: „Verzeih, verzeih, ich weiß nicht, was in mich gefahren ist …“ *wirft sich in den Staub und rollt dreimal*

Und Peter: „Ja, geht mir genauso. Glaub, du kennst mich gar nicht. Aber naja. Bin jetzt mal beim Pferd. Machst du Salat zum Abendessen, Schatz? Einen, der zum Riesling passt?“

Natürlich ist das falsch zitiert, reduziert und völlig überspitzt. Krien ist eine feine Autorin, eine subtile Beobachterin und sie malt ein Sittengemälde, genau, bittergenau und alles daran ist wahr und alles daran kennt man (auch von sich selbst). Ich lese es als Zeitzeugnis, als exakte Beschreibung ohne Zynismus und ohne Gnade. Es legt frei – und überlasst es vollständig dem Leser, wie er dazu steht. Nein, ich habe keine Ahnung, welchen Blick die Autorin selbst auf ihr Paar hat – und das ist große Kunst.

Erzählen, ohne die Wertung beizulegen. Das macht für mich einen Großteil dessen aus, warum ich dieses Buch sehr gern gelesen habe und es wieder lesen werde – auch wenn ich hier zetere.

Was mich langfristig mehr beschäftigt als das Gekusche voreinander, ist der herabsetzende Blick Rahels auf die ‚jungen Menschen‘ – besonders auf ihre Patienten.

Ihre Großmutter, ja die, die ist mit nackten Füßen durch das brennende Dresden gerannt – das war noch ein anständiges Trauma! Aber Kifferpsychosen, Notkaiserschnitte und verwöhnte Jungmänner, die erkennen, dass sie doch keine kleinen Prinzen sind? Pah. Wunsch und Wirklichkeit, sagt sie, bekommen die nicht übereinander. Das war’s.

Das war es nicht. Es gibt keine leichten Zeiten und es gibt keine Hierarchie im Leid. Zu glauben, es gäbe keinen Hunger an reich gedeckten Tischen, ist ignorant. Aber das wäre ein eigenes Buch, wollte man davon erzählen …

Ein erschreckendes, schreckliches Buch – nicht zuletzt, weil die Protagonisten nur unwesentlich älter sind als ich. Vielleicht sollte ich eine rauchen, nur aus Prinzip.

Diu übel Adelheit

Ich stöbere gerade hier und da in den mittelalterlichen Mären – welche reich sind an bösen Frauen. Diese Erzählungen sind derbe, vulgär und brutal. Die Frauen sind da zänkisch und heimtückisch, sie quälen ihre Männer, sind wollüstig und die Ehe ist ein Schlachtfeld der Bösartigkeiten.

Fangen wir aber mit etwas Leichtem an – einer Geschichte, die für den Mann gut ausgeht.

Die üble Adelheid – etwa Ende 13. Jh., Verfasser unbekannt, Entstehungsort: nahe Augsburg. Zu finden bei Lutz Röhrich.

Markhart hat es nicht leicht. Markhart ist ein redlich arbeitender Mann, ein Bauer mit Hof und bisschen Geviechs und es könnte ihm so gut gehen – wäre da nicht Adelheid. Adelheid ist seine Frau und Adelheid macht immer und grundsätzlich das Gegenteil von dem, was der Markhart sagt.

In den Versen erfährt man nicht viel zu Vorgeschichte, aber ich stelle mir das so vor: Die Adelheid war ein fesches Ding. Heutzutage wäre sie vielleicht Influenzerin oder Azubi zur Sachbearbeiterin in der Rentenstelle – halt eine Maid, bei der die Lashes sitzen und die regelmäßig zum Fitness geht und die Haare lang und blond oder wenigstens lang und brünett – und die außerdem eine gewisse Neigung zur eigenständigen Meinung hat. Damit rechnet Mann u.U. aber nicht. (Ich kuck hier keinen an.) Und auch Markhart hat das mit der eigenständigen Meinung in seiner Verliebtheit nicht mitbekommen. Passiert.

Jetzt sind die beiden jedenfalls verheiratet und Adelheid, das widerspenstige Biest, macht nicht nur NICHT was man ihr sagt, sondern immer genau das Gegenteil. Und warum? Natürlich nur, weil sie ein böses Weib ist. Logisch. „Grad zum Schur“, wie meine Oma immer gesagt hat. „Grad zum Schur“.

Irgendwann übertreibt es Adelheid aber dann doch und tut das, was die richtig üblen Ehefrauen eben so tun – sie verweigert … nein, nicht die eheliche Pflicht, schlimmer: sie verweigert ihm das Essen. Gibt nix. Küche kalt. Und kaufen darf er sich auch nix, der arme Markhart.

und waer ez din grimmer tot,/ du enbizest talanc kein gebrot./ du muost noch hiute vasten/ biz dir din ougen glasten.

(V. 17-20)

Dem Markhart reicht es da und da er gar nicht so dumm ist, wie er am Anfang scheint, denkt er sich: Höh, das nutze ich doch für mich – da mache ich einen auf ‚umgekehrte Psychologie‘. Wahrscheinlich hat er das aus einem YouTube-Tutorial für leidende Ehemänner, nein halt, damals gab es das noch nicht – sagen wir, er hatte die Idee vom Pfarrer. Oder seiner Mutter. Ist ja auch egal.

Markhart regt sich auf. Ganz mörderisch und zwar darüber, dass die ganzen Leute hier zum Markt rennen, nach Augsburg. Schrecklich. Und Adelheid so: „Was? Markt! Da gehen wir auch hin!“

Markhart: „Nein, niemals, ganz scheußlich das alles.“

Adelheid: „Doch. Du musst.“

Also gehen die beiden zum Markt, weil Adelheid sich halt immer durchsetzt, und dann sehen sie einen Mann der trägt einen blauen Anzug. Von Boss. Und eine lachsfarbene Krawatte. (Ich weiche hier ein wenig vom Original ab, wegen der besseren Verständlichkeit, merkt ja keiner.)

Markhart: „Boah, schau dir diesen Yuppie an! Wie schaut das denn aus! Blauer Anzug! Blau! Grauenhaft.“

Adelheid (na, könnt ihr es erraten?) – richtig, Adelheid zerrt Markhart in den nächsten P&C und zack, hat er auch einen blauen Anzug. Doch damit nicht genug, als nächstes möchte Markhart etwas gesundes essen – Vegane Ketoburger* und Salat, dazu ein erfrischendes Glas Wasser, ohne Sprudel.

Adelheid aber greift durch, sie zwingt ihn zu Haxe mit Röstkartoffeln, Bier und einen Obstler als Abgang.**

Dann macht man sich auf den Heimweg, natürlich nur, weil Markhart, der müde und erschöpft ist von seinem Eheleben, sagt, er wolle gern noch etwas bleiben – und man geht nebeneinander den Fluss entlang und als der Markhart zu Adelheid sagt „Pass uff, geh da mal nicht so nah dran“ da macht sie noch einen Schritt zur Seite, fällt in den Fluss und versinkt.

Und weil der Markhart aber ein guter Kerl ist, sucht er ihre Leiche. Als ein ‚Reiter‘ kommt – also in unserer Geschichte ein Jogger oder ein Rennradfahrer – und ihn fragt, was er da suche (Ey, was mache Sie denn da? Hier dürfe Sie nicht schwimmen!) und Markhart ihm sagt, er suche seine tote Frau fragt er: „Wo ist die Gute denn ins Wasser gefallen?“

„Na, da und da …“

„Aber Mann! Sie Depp, Sie! Sie suchen ja stromaufwärts! Das geht doch gar nicht, stromabwärts müssen Sie suchen!“

„Ha, was, die Adelheid, die war so ein widerborstiges Biest, die macht nicht mal um Tode, was sich gehört …“

„Oha, na, dann suchen Sie sie mal lieber nicht – der Teufel soll sie finden.“ Und so gingen beide ihrer Wege und der Markhart lebte glücklich und zufrieden. Ob er nochmal geheiratet hat, ist nicht überliefert.

Das ist jetzt leichthin erzählt – ein Lehrmärchen, dass die Frau zu Gehorsam anmahnen soll, weil der Ehemann ihr am Ende ja doch überlegen und sowieso der Klügere ist.

Aber Adelheids ‚Widerstand‘ kann man auch ernsthafter lesen – und zwar übt sie sehr direkt Macht aus. Zum einen, indem sie das gesamte Geld unter sich hat und ihr Mann ohne ihre Zustimmung nicht mal ein Brot kaufen kann – zum anderen, weil sie zur körperlichen Gewalt greift, um ihren Willen durchzusetzen.

Wäre das eine in den Geschlechtern vertauschte Geschichte, würde wir über Narzissmus, toxische Männlichkeit, Machtmissbrauch und eheliche Gewalt reden.

Ich mag nicht so gern mit solchen derben Geschichten, die sich eines brachialen Humors und der Übertreibung bedienen – und ganz klar der Erziehung dienen – feinsinnige Interpretation treiben. Das geht völlig an ihrem Wesen vorbei. Das sind Geschichten, die einer patriarchalen (und christlichen) Denkwelt entstammen – und damit ist viel eher die Frage: Warum gibt es so viele Mären von bösen Weibern? Gerade in patriarchalischen Gesellschaften?

tbc.

*Roggenbrot und H2O

**Weißbrot und guter Wein

Das gute Böse – Lesebühne

Das Böse und die Böswichter*innen – gut das es sie gibt, weil was wäre eine gute Geschichte ohne das Böse?

Bei den #berlinauthors auf der Lesebühne am

10 Juni um 20 Uhr

wird darüber gesprochen, diskutiert, getratscht und geplaudert.

Garantiert höllisch gut und anständig übel. Mit tollen Gästen und mit mir. Klickt rein.

(Das gute an Twitch : man braucht keinen Account, um nur mal reinzuschauen, will man aber mitchatten, Fragen stellen und die Teilnehmer mit Lob und Blumen bewerfen, müsste man sich anmelden.)

Created with GIMP

Die Tilgerin

Lamaštu – Löwenköpfige Tochter des An, machtvolle Göttin und Todesdämonin. Schlangen in den Händen, an den schweren Brüsten saugen jeweils ein Hund und ein Schwein – der Rest des Körpers ist behaart, wie der einen Werewolfs, die Füße sind Klauen.

Sie kommt und tötet die ungeborenen und neugeborenen Kinder, sie ist Seuche und Folter zugleich. Sie lebt im Unrat, im Sumpf, im Tierkot, ihr Pestatem raubt Mutter und Kind das Leben; sie trinkt genüsslich das Blut ihrer Opfer und nagt die Sehnen von den Knochen. Lamaštu zählte einst zu den Göttern, wandelt aber nach ihrer Vertreibung als Dämonin auf der Erde, gekommen um eine Überbevölkerung zu verhindern.

Mythologie (in diesem Fall: Mesopotamien) ist schon was feines. Da geht es zur Sache. Da sind die bösen Frauen unrasiert und fressen kleine Kinder. Wenn man das mit den bösen Frauen unserer Zeit vergleicht – also mit Heidi Klum oder Beatrice Storch … nee, Scherz. Sind ja beides keine Göttinnen, das gilt natürlich nicht.

Aber im Ernst gefragt: Wie steht unser heutiges Frauenbild zu solchen machtvollen und düsteren Frauenfiguren? Halten wir das aus, dass etwas pur weiblich und zugleich dreckig, hässlich, widerwärtig und gewalttätig sein kann?

Man könnte natürlich unzählige Blogbeiträge über mythologische böse Frauen schreiben – und ich hier und da werde ich das vielleicht auch noch tun – was mir aber an der über 4.000 Jahre alten Erzählung über Lamaštu so wesentlich erscheint, ist die Naturgewalt, die sie verkörpert. Sie ist der Kindstod, die Pest, die Seuche, die personifizierte Krankheit.

Sie tötet nicht durch Blitz und Donner, nicht durch Waffengewalt, nicht im Krieg oder Kampf – sondern schleichend, leise und – wenn man so will – tückisch. Aber nicht im Sinne von Heimtücke (welche man ab dem 19. Jh. oft als Wesenszug der Bösen Frau benennt) – sondern in Form der Gegenmacht zur Fruchtbarkeit. Ihre Aufgabe ist die Regulation. Das Verhindern einer Überbevölkerung der Erde. Daher auch ihr Beiname: die Tilgerin.

Das ist nicht verwunderlich: die Fruchtbarkeit ist (ich behaupte immer) weiblich besetzt, ergo ist ihr dunkles Spiegelbild auch Frau.

Lamaštu ist ein Scheusal – oder anders: sie ist gar scheußlich anzuschauen. Das ist etwas, was sie mit vielen anderen machtvoll-bösen Frauen gemeinsam hat – Medusa, die Furien, Baba Yaga, Sirenen & Harpyien, Frau Holle – vor allem eben mit jenen, deren Wesen einer Naturgewalt entspricht oder entspringt. Sie ist scheußlich, aber ganz offensichtlich weiblich. Mehr noch: sie nährt mit ihren Brüsten, wie eine Mutter das tut, nur nährt sie kein Kind, sondern Welpe/Ferkel – beides unreine Tiere.

Viele Motive aus den Erzählungen zu Lamaštu finden sich in mythologischen (literarischen) Figuren späterer Zeit wieder, was aber (für mich sehr offensichtlich) fehlt ist – wie benenne ich das? Nun, das weibliche Scheusal in unseren Erzählungen verbirgt häufig sein Äußeres. Seine wahre Gestalt. Zauberei, Täuschung, List – unzählige weibliche Figuren, die sich ‚verschönern‘. Einerseits um harmloser zu wirken, klar, aber anderseits geht es da auch immer um Aneignung von ‚echter‘ Weiblichkeit, die ihrem ‚wahren‘ Wesen fehlt.

Eine Frau ist schön – und wenn sie es nicht ist, so tut sie zumindest ihr bestes. Denn über die Schönheit gewinnt sie den Mann und was den Mann nicht zu gewinnen weiß, ist nicht weiblich.

Falls ihnen dieser Kreisgedanke absurd scheint, lesen Sie einfach mal 10 min im Social Media mit, wo unter jeder starken (grenzgängigen, eigenwilligen oder nur lauten) Frauenmeinung steht: Du bist hässlich und keine richtige Frau.

Lamaštu aber ist hässlich und durch und durch weiblich.

Das Motiv der ‚Verschönerung‘ fehlt bei Lamaštu völlig. Die wälzt sich brüsteschwingend im Abfall und sabbert Löwenspucke auf ihr Frühstück – und nichts davon nimmt ihr Weiblichkeit und weibliche Macht. Und in dem Sinne: absolut tauglich Rollenvorbild, trotz der dämonischen Tendenzen.

Das Berlingefühl

Mir fehlt Berlin. Jaja, klar, man fährt gelegentlich von Rand-Berlin nach Richtig-Berlin rein, ist dann völlig fassungslos, weil man in der Kantstraße einen Parkplatz findet, holt sich ein paar Comics in Kreuzberg, damit der Comichändler überlebt, usw. usf. … aber das Berlingefühl mit Sommernächten, Erdbeerbowle, Tretbooten, Menschenmassen, S-Bahn-Chaos, ganze Schafe grillen im Park und Porsches auf dem Ku’damm, die bunten Menschen und der Wirrwarr der Sprachen und der Geruch von Gras und Döner … dieses immer leicht angeranzte und immer großschnäuzige und was immer Berlin für euch ausmacht. Es fehlt.

Und da ist es ein wenig tröstlich und ein wenig traurig, wenn ein junges Berliner Bündnis&Verlag-Unternehmen, die #BerlinAuthors, Anthologien macht, und alle haben dieses Berlin-Gefühl. Man liest und ist in einem ständigem ‚Hach‘ oder ‚Meh‘ oder ‚Snüff‘. Falls also jemand nostalgisch oder vorfreudig-hoffend sein mag oder einfach nur, weil es so schön ist, sich ein bisschen Berlin reinzuziehen: Holt euch das Buch. Oder gleich alle. Lohnt sich.

Großstadtklänge:

Von singenden Vögeln in dunklen Gassen

– 9. Dezember 2020

von S. M. Gruber (Herausgeber), Liv Modes (Herausgeber), Jen Pauli (Herausgeber), Katharina Stein (Herausgeber)

12,90 Euro

Sprache : Deutsch

Taschenbuch : 256 Seiten

ISBN-10 : 3752661941 ISBN-13 : 978-3752661941

Kauf mich \o/

Mythenmetzsche Abschweifung:

Was hat das jetzt mit bösen Frauen zu tun? Naja, es hat mit mir zu tun und das reicht ja wohl.

Nix hat es mit bösen Frauen zu tun, aber ich wollte so gern davon erzählen. Ich habe nämlich ein etwas gespaltenes Verhältnis zu Anthologien. Als ich so richtig jung war (damals, einst, once upon a time), da liebte ich Anthologien, ich bekam sie auch dauernd von der Familie geschenkt, weil ‚du liest ja gern‘ und ‚da sind lauter berühmte Schriftsteller drin, hat der Buchhändler gesagt‘ – jedenfalls waren Anthos für mich das Tor zu den großen Stimmen. Versammelt zu einem Thema, einem Anliegen, einer Idee. Und wie vielfältig diese Stimmen waren, wie jede ihren ganz eigenen Klang hatte. Rilke, Egon Erwin Kisch, Böll, Bachmann, Kaleko … ihnen allen begegnete ich das erste Mal in einer Anthologie.

Später dann, schreibend, waren Anthologien der erste Schritt ins Veröffentlichen. Bei Wettbewerben, wo man zwar nicht ganz, ganz vorn dabei war, aber doch mit in der Anthologie, oder bei Projekten, Kleinverlagen, Foren … irgendwann hatte und hat man stapelweise Anthos. Nicht nur die eigenen, sondern auch noch die von all seinen Freunden und den Freunden von den Freunden, und um ehrlich zu sein, schaffe ich oft genug gerade so den Text, das Gedicht, die Geschichte der Freunde zu lesen – der Rest wandert unbesehen und unbelesen ins Regal.

Das ist natürlich gemein und böse (ha!) – aber so ist das eben. Mit der Zeit kennt man eh mehr Leute, die schreiben, als solche, die lesen.

Die letzte Anthologie, die ich geschenkt bekam, war von einer Buchhändlerin, die mich erst für eine Lesung angefragt hatte und dann doch abgesagt und es war „Geduld ist alles“ – Geschichten und Gedichte über das Warten. Diogenes. So als Trostkeks, oder was immer die Botschaft auch war.

Jedenfalls habe ich da rein- und drein- und rundherumgelesen und das wohlige Anthologiegefühl wollte sich gar nicht recht einstellen, es war mehr so: puh, die richtigen Schriftsteller haben es auch nicht leicht – ein Leben für die Literatur, endlich wird man berühmt und dann endet man in so nem Geschenkbuch.

„Großstadtklänge“ ist die zweite Berlinanthologie der #BerlinAuthors und sie vereint, wenn ich mich jetzt nicht verzählt habe, 31 Berliner Autoren. Und jede erzählt von einem ganz besonderen Klang – einem Berlin-Sound, einem Geräusch, einem Laut oder einem Leise, das Berlin ist. Das Rattern der Bahn, der Fernseher des Nachbarn, die Musik in den Clubs oder das Schweigen hinter dem Lärm. Immer ist es mehr als ein Geräusch, immer ist es eine kleine Geschichte – in Berlin, um Berlin, mit Berlin und aus Berlin. Die große Stärke dieses Buches ist die Mannigfaltigkeit der Stimmen. So bunt wie die Stadt, so verschieden wie die Leute hier, ist auch die Textauswahl.

Die größte Schwäche ist: die Mannigfaltigkeit der Textauswahl. Weil die Art der Kurzerzählungen eben von Genre bis E von gestandenem Erzähler bis erster Versuch reicht – lässt es sich nicht vermeiden, dass man die eine Geschichte mehr mag als die andere. Und auch das liebevolle und genaue Lektorat kann da nicht soweit ausgleichen, dass man in den Sog kommt, den man von Büchern kennt, die man von vorn bis hinten ließt. Hier gleitet man nicht, man hopst.

Und wenn man schon hopst und Berlin zum Thema hat, dann könnte man durchaus noch etwas abgründiger, experimenteller, wilder, böser, literarischer, anarchistischer springen und vielleicht ist es mir! (und nur mir?) auch einfach nur ein bisschen zu brav und ein bisschen zu konservativ. Wobei man da wieder sagen muss: Anthologieerschaffer können stets nur aus den Texten wählen, die eingeschickt werden, und kann natürlich gut sein, dass die wilden Literaten Berlins da einfach noch nicht bei waren.

Außerdem sind Anthologien immer auch wie Buffets – man nascht von allem, man mag nicht alles, man hätte ausgerechnet von dem einen Dings mehr als da ist – aber das heißt ja nicht, dass man nicht satt und glücklich nach Hause rollt und sich auf das nächste freut.

Summa Summarum: Hach, Berlin. Ick vermiß dir, aber kommt ja zum Glück wenigstens bald die nächste Antho …

Mutti?!

An sich wollte ich von Frau Trude erzählen, einer Frau, die ein Kind in leuchtend helle Flammen aufgehen ließ – aber ob das an Schaurig-Bösem mit Frau Baerbock mithalten kann, die wahrhaftig Bundeskanzlerin werden möchte, obwohl sie Mutter von zwei Kindern ist? Puh.

Ist das noch Provokation oder die berechtigte Sorge eines jungen Mannes, Frau Baerbocks renitentes Verhalten könnte abfärben und Mutti Brechtken geht morgen auch arbeiten? Und wer bügelt dann die Hemden? (Die Zugehfrau, schon klar, aber trotzdem.)

Aber das Thema ist interessant. Was ist eine gute Mutter? Oder: was ist eine Mutter? Und gibt es etwas Böseres unter Frauen als die, die keine guten Mütter sind? Nicht umsonst beginnen viele, viele Märchen mit bösen (Stief)-Müttern.

Mutter bist du, wenn auf dieser Welt ein Kind ist (oder war), das dich so nennt. Und wenn du wissen willst, ob du eine gute Mutter bist, dann frage das Kind. Ok. Vielleicht fragt man Kinder auch lieber erst nach der Pubertät, aber ey, das Prinzip. Ne. Das Prinzip ist klar.

Die Erwartungen der Gesellschaft an eine Mutter sind aber andere. Mutter ist, wer mütterliches tut. Und mütterlich ist nicht etwas leuchtend-heroisches wie Drachen erschlagen und Welt retten, sondern: Care-Arbeit. Da sein. Windeln wechseln, Tränen trocknen, Vorlesen, Hemden bügeln, was weiß ich. Und zentral eben: da sein. Ganz und gar und sich selbst zurückstellen. Dieses ’sich selbst zurückstellen‘ oder auch ’sich nicht so wichtig nehmen‘ das ist noch immer DER Denk- und Erwartungskern von Mütterlichkeit. Eine Mutter ist immer da. Für das Kind, die Kinder, die Familie, (den Mann). Physisch, psychisch, emotional.

Geht das, wenn man Bundeskanzlerin ist? Nö. Da ist man ziemlich oft physisch woanders und wo man mit seinen Gedanken so alles sein muss, will ich gar nicht wissen. Also, hat Bennie da schon nen Punkt: gute Mutter ist nicht, wenn man nur an sich selbst denkt und partout ein Land wie Deutschland regieren will.

Guter Vater dann aber auch nicht.

Gute Eltern regieren nicht. Zack, fertig.

Nope, nicht fertig, denn es ist eben nicht dasselbe. Ein Vater kann jederzeit zu einer Heldentat aufbrechen und im schlimmsten Fall findet man das ’schade‘. Oder ‚ein Opfer‘ oder sogar ‚ein Opfer für die Familie‘, weil einer muss ja das Mammut …

Eine Mutter, die weggeht – aus welchem Grund auch immer; ob nun um Kanzlerin oder Astronautin zu werden, an einem Segelrennen teilzunehmen – oder einfach nur um in einer neuen Beziehung zu leben und die Kinder beim Vater zu leben lassen – löst sofort nervöse Abwehrreflexe aus.

Die Argumentation, gerade auch von Seiten der Frauen, dreht sich dann um Vereinbarkeit von Beruf und Familie, das Organisationstalent von Frauen, das schon an Zauberkräfte heranreicht, wenn man so zuhört, die kühne Behauptung, dass es möglich sei, alles zu haben und zu leisten – weil, so behaupte ich jetzt: Eine Frau, die ihre Familie verlässt (und sei es nur zum Arbeiten) ist ‚böse‘. Und Frauen dürfen nicht böse sein. Sind nicht böse. Frauen sind die Guten.

Deswegen wird so getan, als könnte man 100% Bundeskanzlerin und 100 % Care-Arbeiter* sein, man müsse das nur organisieren. Weil Frauen verlassen ihre Familie nicht, die sind nur kurz mal weg den Putin in die Schranken weisen und dann holen sie Kids von der KiTa ab.

Vielleicht bekommt das Frau Baerbock wirklich hin, ich persönlich bekomme schon weit weniger nicht hin, aber naja.

Jedenfalls: wird Frau Baerbock mit Sicherheit eine gute Mutter sein – egal welchen Beruf sie zukünftig ausübt. Und dem Rest der Welt wäre zu wünschen, dass er ‚Mutter‘ und ‚Carearbeit‘ und ‚Selbstaufgabe‘ mal voneinander trennt. Aber das dauert noch, fürchte ich, und das hat gar nicht so viel mit den Bennies dieser Welt zu tun.

Vom Schweigen der Frauen

Magaret Atwoods Report der Magd ist eine 1985 erschienene Dystopie, die nichts an Aktualität eingebüßt hat.

In einer nahen Zukunft übernimmt eine radikal-religiöse Vereinigung die Macht und zwingt die Menschen in ein strenges, gnadenloses Kastensystem. Eine religiöse Diktatur, ein System aus Überwachung, Strafe und Privilegien.

Der heilige Gral ist die Fruchtbarkeit – Kinder sind selten geworden. Die Ursache dafür bliebt, wie vieles, in Andeutungen. Umweltzerstörung, Strahlung, Pandemie, eine Mischung daraus, letztlich spielt es keine Rolle. Die Mägde, junge, fruchtbare Frauen werden mächtigen Männern zugeteilt, rituellen Befruchtungsvergewaltigungen unterworfen und ihre Identität ist beschränkt, beschnitten, reduziert allein auf die der Austragenden, der Gebärenden. Es ist – für die Zeiten – ein privilegiertes Leben, sie müssen nicht arbeiten, wenig tun, sie bekommen gesundes und ausreichendes Essen, sie werden geschützt, medizinisch betreut, sie werden beneidet und gehasst. Die Blicke folgen ihnen, wenn sie in leuchtendes Rot gekleidet, die Straßen entlang gehen.

„Es gibt eine Freiheit zu und eine Freiheit von“ heißt es relativ zu Beginn des Buches – und es gelingt Atwood, bei allem Schrecken und Schrecklichen der ’neuen‘ Zeit, die alte Zeit nicht als Sehnsuchtsort erscheinen zu lassen. Waren Frauen je frei? Waren Menschen je frei?

Der Report der Magd ist eine tagebuchähnliche Aufzeichnung. Die Ich-Stimme ist keine laute. Die Protagonistin ist keine Kämpferin, ihre Mutter war eine, die beste Freundin – war es in der alten Zeit und eine kurze Weile in der neuen. Die Erzählstimme rebelliert nicht, sie erfasst nicht einmal genau, was geschieht – sie versucht weder Hintergründe noch Ursachen zu erforschen oder zu verstehen. Sie berichtet nur klein, klein, klein von Einkäufen, Blumenbeeten, Blicken der Frauen, den Haushaltsabläufen, den Forderungen, die sie erfüllen muss, um zu überleben und dem kleinen Fluchtmoment des Verliebens in einer lieblosen Welt – und all das Kleinklein ist durchwebt von Erinnerungen an die alte Zeit und den Beginn der neuen.

Doch: Allein, dass sie spricht, dass sie nicht verstummt, dass sie sich selbst erzählt und damit auf sich selbst beharrt – ist Macht. Sie ist nicht ‚Magd‘ – sie ist ein ‚Ich‘.

Das Wesen, der Kern dieses Buches sind nicht die Gräuel, die mehr angedeutet als erzählt werden, sondern das Schweigen. Das Schweigen der Frauen. Denn das ist, was geschieht: sie werden zum Schweigen gebracht. Es ist ihnen verboten zu lesen, zu schreiben, jeder Buchstabe, und sei es nur ein Straßenschild, ist ausgemerzt für die Augen der Frauen. Und auch das Reden – untereinander, miteinander – ist reduziert auf Floskeln, rituelle Worte, antrainierte Phrasen.

Frauen in höheren Positionen unterliegen diesen Beschränkungen weniger offensichtlich – doch auch ihr Reden ist begrenzt. In den Themen, in der Hörweite, in der Macht.

Eine Welt des Schweigens ist es, die Atwood da entwirft, all diese schweigenden Frauen – und es so ist das verruchteste was geschieht nicht etwa, dass der Mann, dem die Magd zugeteilt ist, sie heimlich in ein Neuzeitbordell mitnimmt, nein, es ist das verbotene Spiel, das sie spielen.

Scrabble.

Mädels, redet miteinander! will man reinrufen, denn würden diese Frauen sprechen, miteinander, sich flüstern verbünden, tratschend die Rebellion planen, schnackend die Weltherrschaft an sich reißen – dann wäre aber ratzfatz vorbei mit der Macht der Männer. Das Fehlen von Solidarität. Das auch.

Doch eigentlich die Frage: Wie sehr muss man (Mann) eine Frau fürchten, die spricht?

Nun, olle Adam (wir erinnern uns, Paradies, Apfel) würde wahrscheinlich sagen: Mehr als die Hölle.

Und so erzählt das Buch in gewisser Weise nicht nur vom Schweigen der Frauen, sonder ganz zentral von der Angst der Männer. Das Sprechen der Frauen ist Böse. So ziemlich jede „böse Frau“ ist eine, die spricht, deren Worte pures Gift sind. Denunziantinnen sind geschwätzige Verräterinnen, Hexen sprechen Flüche und Verwünschungen aus, die böse Zunge der Ehefrau und Schwiegermutter, der (männer)-vernichtende Gesang der Sirenen, die nervige Vorhersehungen der Kassandra und überhaupt, was muss der Mann immer leiden, weil die Frau dauernd reden will.

Wie in allen Gemeinden der Heiligen 34 sollen die Frauen in den Gemeindeversammlungen schweigen; denn es ist ihnen nicht gestattet zu reden, sondern sie sollen sich unterordnen, wie auch das Gesetz sagt. 35 Wenn sie aber etwas lernen wollen, so sollen sie zu Hause ihre Männer befragen. Schändlich ist es nämlich für [die] Frau, in [der] Gemeindeversammlung zu reden. 36 Oder ist von euch das Wort (des) Gottes gekommen? Oder ist es zu euch allein gelangt?

1 Kor 14,33b-36:33b

Das Buch endet mit ein klein wenig Hoffnung, damit, dass die Magd Gelegenheit bekommt, sich zu erzählen, den Report auf Kassetten zu sprechen und Zeugnis abzulegen. Irgendwann später gehört zu werden. (Und brillant ist, wie Atwood auch dieses Gehörtwerden wieder kippen lässt – aber ich will nicht spoilern.)

Unterm Strich bleibt: Seid böse Frauen. Verstummt nicht. Erzählt. Seid leise oder laut in euren Worten, aber redet. In euren Jobs, euren Beziehungen, mit euren Kindern. Das Wort ist mächtig, auch wenn es leise fällt.

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