Mir fehlt Berlin. Jaja, klar, man fährt gelegentlich von Rand-Berlin nach Richtig-Berlin rein, ist dann völlig fassungslos, weil man in der Kantstraße einen Parkplatz findet, holt sich ein paar Comics in Kreuzberg, damit der Comichändler überlebt, usw. usf. … aber das Berlingefühl mit Sommernächten, Erdbeerbowle, Tretbooten, Menschenmassen, S-Bahn-Chaos, ganze Schafe grillen im Park und Porsches auf dem Ku’damm, die bunten Menschen und der Wirrwarr der Sprachen und der Geruch von Gras und Döner … dieses immer leicht angeranzte und immer großschnäuzige und was immer Berlin für euch ausmacht. Es fehlt.
Und da ist es ein wenig tröstlich und ein wenig traurig, wenn ein junges Berliner Bündnis&Verlag-Unternehmen, die #BerlinAuthors, Anthologien macht, und alle haben dieses Berlin-Gefühl. Man liest und ist in einem ständigem ‚Hach‘ oder ‚Meh‘ oder ‚Snüff‘. Falls also jemand nostalgisch oder vorfreudig-hoffend sein mag oder einfach nur, weil es so schön ist, sich ein bisschen Berlin reinzuziehen: Holt euch das Buch. Oder gleich alle. Lohnt sich.
Großstadtklänge:
Von singenden Vögeln in dunklen Gassen
– 9. Dezember 2020
von S. M. Gruber (Herausgeber), Liv Modes (Herausgeber), Jen Pauli (Herausgeber), Katharina Stein (Herausgeber)
12,90 Euro
Sprache : Deutsch
Taschenbuch : 256 Seiten
ISBN-10 : 3752661941 ISBN-13 : 978-3752661941
Mythenmetzsche Abschweifung:
Was hat das jetzt mit bösen Frauen zu tun? Naja, es hat mit mir zu tun und das reicht ja wohl.
Nix hat es mit bösen Frauen zu tun, aber ich wollte so gern davon erzählen. Ich habe nämlich ein etwas gespaltenes Verhältnis zu Anthologien. Als ich so richtig jung war (damals, einst, once upon a time), da liebte ich Anthologien, ich bekam sie auch dauernd von der Familie geschenkt, weil ‚du liest ja gern‘ und ‚da sind lauter berühmte Schriftsteller drin, hat der Buchhändler gesagt‘ – jedenfalls waren Anthos für mich das Tor zu den großen Stimmen. Versammelt zu einem Thema, einem Anliegen, einer Idee. Und wie vielfältig diese Stimmen waren, wie jede ihren ganz eigenen Klang hatte. Rilke, Egon Erwin Kisch, Böll, Bachmann, Kaleko … ihnen allen begegnete ich das erste Mal in einer Anthologie.
Später dann, schreibend, waren Anthologien der erste Schritt ins Veröffentlichen. Bei Wettbewerben, wo man zwar nicht ganz, ganz vorn dabei war, aber doch mit in der Anthologie, oder bei Projekten, Kleinverlagen, Foren … irgendwann hatte und hat man stapelweise Anthos. Nicht nur die eigenen, sondern auch noch die von all seinen Freunden und den Freunden von den Freunden, und um ehrlich zu sein, schaffe ich oft genug gerade so den Text, das Gedicht, die Geschichte der Freunde zu lesen – der Rest wandert unbesehen und unbelesen ins Regal.
Das ist natürlich gemein und böse (ha!) – aber so ist das eben. Mit der Zeit kennt man eh mehr Leute, die schreiben, als solche, die lesen.
Die letzte Anthologie, die ich geschenkt bekam, war von einer Buchhändlerin, die mich erst für eine Lesung angefragt hatte und dann doch abgesagt und es war „Geduld ist alles“ – Geschichten und Gedichte über das Warten. Diogenes. So als Trostkeks, oder was immer die Botschaft auch war.
Jedenfalls habe ich da rein- und drein- und rundherumgelesen und das wohlige Anthologiegefühl wollte sich gar nicht recht einstellen, es war mehr so: puh, die richtigen Schriftsteller haben es auch nicht leicht – ein Leben für die Literatur, endlich wird man berühmt und dann endet man in so nem Geschenkbuch.
„Großstadtklänge“ ist die zweite Berlinanthologie der #BerlinAuthors und sie vereint, wenn ich mich jetzt nicht verzählt habe, 31 Berliner Autoren. Und jede erzählt von einem ganz besonderen Klang – einem Berlin-Sound, einem Geräusch, einem Laut oder einem Leise, das Berlin ist. Das Rattern der Bahn, der Fernseher des Nachbarn, die Musik in den Clubs oder das Schweigen hinter dem Lärm. Immer ist es mehr als ein Geräusch, immer ist es eine kleine Geschichte – in Berlin, um Berlin, mit Berlin und aus Berlin. Die große Stärke dieses Buches ist die Mannigfaltigkeit der Stimmen. So bunt wie die Stadt, so verschieden wie die Leute hier, ist auch die Textauswahl.
Die größte Schwäche ist: die Mannigfaltigkeit der Textauswahl. Weil die Art der Kurzerzählungen eben von Genre bis E von gestandenem Erzähler bis erster Versuch reicht – lässt es sich nicht vermeiden, dass man die eine Geschichte mehr mag als die andere. Und auch das liebevolle und genaue Lektorat kann da nicht soweit ausgleichen, dass man in den Sog kommt, den man von Büchern kennt, die man von vorn bis hinten ließt. Hier gleitet man nicht, man hopst.
Und wenn man schon hopst und Berlin zum Thema hat, dann könnte man durchaus noch etwas abgründiger, experimenteller, wilder, böser, literarischer, anarchistischer springen und vielleicht ist es mir! (und nur mir?) auch einfach nur ein bisschen zu brav und ein bisschen zu konservativ. Wobei man da wieder sagen muss: Anthologieerschaffer können stets nur aus den Texten wählen, die eingeschickt werden, und kann natürlich gut sein, dass die wilden Literaten Berlins da einfach noch nicht bei waren.
Außerdem sind Anthologien immer auch wie Buffets – man nascht von allem, man mag nicht alles, man hätte ausgerechnet von dem einen Dings mehr als da ist – aber das heißt ja nicht, dass man nicht satt und glücklich nach Hause rollt und sich auf das nächste freut.
Summa Summarum: Hach, Berlin. Ick vermiß dir, aber kommt ja zum Glück wenigstens bald die nächste Antho …